Interview Dr. Elke Kleuren-Schryvers, Vorstand der Stiftung Aktion pro Humanität – August 2018
Veröffentlichung in der NRZ vom 14. August 2018, Redaktion: Heike Waldorf-Schäfer

 Seit mehr als zwei Jahrzehnten engagieren Sie sich mit Ihrer Hilfsorganisation APH (Aktion pro Humanität) in Westafrika. Es konnte eine Krankenstation gebaut werden, vor vier Jahren wurde sogar ein Operationscontainer im Busch installiert – alles mit Hilfe von Spenden. Im November wird eine Kinderstation eröffnet. Werden Sie eigentlich nie müde?
Nein, in Anbetracht der Situationen, die die Menschen in diesen beiden Ländern vorgeben, ihre Lebensbedingungen, ihre Perspektiven, kann man gar nicht müde werden. Und wenn nahezu 70 Millionen Menschen auf der Flucht sind, können wir nicht die Beine hochlegen auf unserer Insel der Seligen. In Zeiten, in denen die Angst vor dem und den Fremden, so geschürt wird, statt sie zu lindern, muss man agieren. Sie klar und unzweifelhaft für Mitmenschlichkeit und Solidarität aussprechen.

20 Jahre sind eine lange Zeit.
Das Krankenhaus der Aktion pro Humanität in Benin konnten wir 1995 eröffnen. Begonnen hat es mit wirklicher medizinischer Basisversorgung der Menschen. Wir hatten anfangs nicht viel zur Verfügung – einige Medikamente, ein paar Stethoskope und Blutdruckmesser, ein Mikroskop, einige Hals-Nasen-Ohren-Lampen und Mundspatel, ein bisschen Naht- und Verbandsmaterial, einige Infusionssets.

Das klingt abenteuerlich.
Das war es auch. Eine lokale Anästhesie vor einer Wundversorgung etwa kannte niemand. Die Menschen umarmten uns mit Tränen in den Augen, weil sie gar nichts spürten, wenn wir eine Kopfplatzwunde oder eine Macheten-Schnittwunde von der Feldarbeit versorgten. Und die Aidspatienten verstanden gar nicht, dass wir mit ihnen bei den Behörden streiten wollten, damit es endlich Aidsmedikamente im Land geben konnte. Heute ist unser Hospital in Gohomey, nah an der Grenze zu Togo, ein spezialisiertes Zentrum – das Zweitgrößte im Land -für die Diagnostik und Therapie von HIV/Aids.

Wie muss man sich das Leben im westafrikanischen Busch im Jahr 2018 vorstellen?
Nun, ehrlich, in vielen Bereich wie vor 150 Jahren. In den Großstädten werden Infrastruktur-Fortschritte sichtbar. In den ländlichen Gegenden ist die Zeit aber noch stehen geblieben – viele Menschen leben nach wie vor in einfachen Behausungen, ohne Wasser und Strom, zu allermeist in bitterer Armut.

Wie finanziert sich das Krankenhaus?
Aus den vielen kleinen „Kostenbeteiligungen“ der Patienten für ihre Behandlungen. Diese liegen unter denen der staatlichen Krankenhäuser. Und dann sind es die Spendengelder vom Niederrhein. Wir können gar nicht laut genug Danke sagen. Und trotzdem bedeutet auch heute ein krankes Familienmitglied, das zur Behandlung im Krankenhaus ist, oft eine Mahlzeit weniger am Tag für den Rest der Familie.

2015 haben Sie in Benin Geschichte geschrieben.
Ein Jahr, das in die Geschichte des Projektes und der Gesundheitsversorgung der Menschen in dieser Region eingehen wird. Durch einen privaten Spender konnten zeitgleich eine digitale Röntgenanlage und ein Operationscontainer angeschafft werden. Somit wurde auch die operative Behandlung, insbesondere auch Kaiserschnittentbindungen möglich. 142 Geburten gab es im Mai diesen Jahres. 40 davon waren Kaiserschnitt-Entbindungen. Insgesamt gibt es monatlich ca. 60 Operationen in dem OP-Container. Pro Jahr werden aktuell sicher 25.000 – 30.000 Menschen bis in die Nachbarländer hinein (Togo und Nigeria) versorgt. Das Krankenhaus pulsiert …

Gibt es ein Erlebnis, ein Schicksal, dass Sie besonders in Erinnerung behalten haben?
Es gibt viele, tief bewegende Erinnerungen an einzelne Menschen und ihre Dankbarkeit über die möglich gewordene Hilfe – inzwischen sogar im ganzen Land. Eine besondere Erfahrung jedoch ist die Entwicklung des Projektes zum zweitgrößten Arbeitgeber in der Region. 85 beninische Mitarbeiter und ihre Familien stehen in Lohn und Brot der Aktion pro Humanität. Das ist die eine großartige Entwicklung. Das ist konkrete Lebensperspektive für die Menschen in ihrer Heimat.

Macht es sie zornig, dass sich in all den Jahren am Alltag vieler Menschen in Benin nicht viel geändert zu haben scheint?
Nein, ich bin nicht zornig. Eher pragmatisch. Die Lebenssituation der Menschen in der Region Mono/Couffo hat sich schon deutlich verändert – durchaus zum Besseren. Durch das Krankenhaus sind Strom und Wasser in die Region gekommen, Schulen, die medizinische Versorgung ist adäquat bis fortschrittlich. Ebenso ist die medizinische Versorgung entschieden besser als in anderen Regionen. Und wir spüren sehr viel und wachsendes Vertrauen der Menschen in einer Region, die überwiegend noch vom Glauben an Götter, Geister und Ahnen dominiert wird.

Im November werden sie erneut mit Medizinern aus Wesel, Emmerich, Xanten, Geldern, Kevelaer, Moers nach Gohomey aufbrechen und einen neuen Krankenhausbereich eröffnen.
Ja, wir werden eine pädiatrische Fachabteilung mit Neonatologie eröffnen. Klein, aber ein wirklicher Segen. Damit ist ein weiterer Schwerpunkt gesetzt als Mutter-Kind-Behandlungszentrum. Eine kleine Zahnarztpraxis ist auf dem Krankenhausgelände ebenfalls in Bau. Wirtschaftlich betrachtet schafft unser Zentrum inzwischen ein Autofinancement von mehr ca. 84 Prozent für die entscheidenden Kosten­blöcke: Löhne der beninischen Mitarbeiter, Medikamente sowie medizinische Verbrauchs­materialien. Das gilt als sehr herausragend im Land.

 

BOX:

Für die Projektleitung in Benin sucht die APH eine Interims-Projektleitung, die gemeinsam mit dem beninischen Leitungsteam vor Ort arbeitet. Die Tätigkeit ist auf etwa zehn Monate befristet – der oder die Bewerber sollten Französisch sprechen und Freude daran haben, die Projektorganisation und -koordination sowie das Controlling zu übernehmen. Idealerweise vielleicht sogar Erfahrung in Sachen Krankenhaus-Management mitbringen. Klar ist, es geht nicht um eine Abenteuer-Reise ins Land des Vodoo. Die Person muss die Bereitschaft mitbringen, sich auf einen gänzlich anderen kulturellen Kontext und die Menschen dort einzulassen.

Infos:  www.pro-humanitaet.de

Kontakt: Stiftung Aktion pro Humanitaet,
Dr. Elke Kleuren-Schryvers, aktion-pro-humanitaet@web.de