Monsieur Onoré

Überleben mit Schlaganfall

Das erste Mal sah ich Monsieur Onoré im November 2016. Es war das prägendste Erlebnis meiner ersten Reise nach Benin. Aber der Reihe nach.

Mit einer Truppe Moped-Taxis sind wir 2016 in die Dörfer gefahren, um einige Hilfsprojekte der Aktion Pro Humanität auf dem Lande zu besuchen. Auf dem Weg dorthin kamen wir an vielen Dörfern vorbei, überall winkten uns die Menschen zu, kamen aus ihren Lehmhütten gelaufen. Von außen sehen die Dörfer gar nicht so schlimm aus, dachte ich. Die Menschen sind ja nicht nackt, sie tragen ja T-Shirts, fahren Moped, haben Handys. Also alles nicht so schlimm. Dachte ich.

Als wir gerade an einem dieser Dörfer vorbeigefahren waren, hieß es von vorne auf einmal „Umdrehen!“. Es stellte sich heraus, dass in dem Dorf Monsieur Onoré wohnte, ein ehemaliger APH-Mitarbeiter, der erkrankt war. Elke und einige andere wollten ihm einen spontanen Besuch abstatten. Also drehten wir um und hielten bei Monsieur Onoré im Haus.

Elke und zwei weitere Teammitglieder gingen gleich in die Hütte, um nach Monsieur Onoré zu sehen. Wir anderen blieben draußen, weil wir nicht mit dem ganzen Tross in die kleine Hütte einfallen wollten. Ich aber war neugierig und bin dann doch rein.

Das war das prägendste Erlebnis meiner Reise. Die Hütte, die von außen einigermaßen idyllisch aussah, ist von innen: dunkel, stickig, dreckig, eng und voller Mücken. Der Boden besteht aus Dreck, die Wände auch. Das Dach ist aus ein paar Ästen und Wellblech zusammengesteckt. In der Ecke liegt auf dem Boden ein Mann. Auf einer Matratze und einem Lattenrost, die im Dreck stehen. Es stinkt. Ziegen und Hühner laufen durch die Hütte, offenbar ist das hier nicht nur die Behausung von Monsieur Onoré, sondern gleichzeitig auch ihr Stall.

Monsieur Onoré hatte früher als Nachtwächter bei APH gearbeitet, aber vor einigen Monaten einen Schlaganfall erlitten. Seitdem liegt er hier. Als er den Besuch wahrnimmt, richtet er sich auf, unter großen Mühen. Er beeilt sich, allen zu zeigen, dass er jetzt sogar stehen kann. Aber im Grunde liegt er nur da, den ganzen Tag. Im Dreck. Das ist sein Leben jetzt.

Später schildere ich Elke, wie schlimm ich die Szene in der Hütte fand. Der arme Mann, nur auf einem Lattenrost im Dreck. Elke sieht mich an. „Wir haben jetzt November. Das letzte Mal waren wir im April hier“, sagt sie, „da hatte er noch keinen Lattenrost. Da hat er auf dem Boden gelegen.“

Den Lattenrost hat Monsieur Onoré von APH bekommen. Und noch mehr. „Dass Monsieur Onoré dort liegt, ist nicht selbstverständlich“, sagt sie. Er sei überhaupt nur noch am Leben, weil APH ihm weiter sein Gehalt bezahle und weil er kostenlose Medikamente von dort bekomme. „Sonst wäre er hier längst verstorben.“

In der Hütte während des kurzen Gesprächs mit Elke habe ich Monsieur Onoré zwei Mal weinen sehen – ich kann nicht sagen, ob vor Verzweiflung oder vor Glück.

Markus Bremers